Der Wolf in Sachsen: Politik stimmt pauschalisiertem Abschuss zu
16. Oktober 2023 – Bund und Länder haben einen neuen Umgang mit dem Wolf eingeleitet. Die Ministerpräsidentenkonferenz vom 13.10.2023 hat diesen nun in ihrem Beschluss zementiert: Überwindet ein Wolf einen tadellos funktionierenden Schutzzaun und reißt Nutztiere, soll zukünftig der unproblematische Abschuss von Wölfen möglich sein.
Im Grunde war das schon immer so. Nur musste bis jetzt nachgewiesen werden, dass der geschossene Wolf auch der reißende Wolf ist, hierzu war eine DNA-Probe notwendig (Rudelgebundenheit nach §45a Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes). Nach den Vorstellungen der Politik soll nun nach behördlicher Freigabe innerhalb von 21 Tagen jeder Wolf im Umkreis von 1000 Metern um den Tatort herum geschossen werden können – unabhängig von seinem tatsächlichen Verhalten. Nach Meinung des NABU Sachsen ist dies alles andere als sinnvoll.
Abschuss ist die Lösung?
Der Großteil der Wölfe tritt nicht in Erscheinung und meidet das Zusammentreffen mit dem Menschen. Ein guter Herdenschutzzaun stellt für Wölfe ein echtes Hindernis dar, der weder das Überspringen noch das Untergraben erlaubt und dem Wolf bei Berührung empfindliche Stromschläge gibt. Wölfe, die einen solchen Zaun überwinden, haben gelernt. Diese – und nur diese – zu entnehmen ist sinnvoll, die behördlichen Wege dauern aber oftmals zu lange. An dieser Stelle ist ein politisches Eingreifen wichtig.
Mit mehr Geld und Personal für Monitoring und Rissbegutachtung ließe sich das Prozedere deutlich beschleunigen. Das würde den Tierhaltern helfen und die Akzeptanz für ein Miteinander von Mensch und Wolf fördern.
Dr. Maria Vlaic, NABU-Landesvorsitzende
Die jetzt angekündigten Schnellschüsse sind eine absolute Notlösung und machen den Wahlkampf greifbar: Der Ruf nach Abschüssen von Wölfen wird im Vorfeld der Landtags- und Kommunalwahlen lauter und ist auch ein Thema in den anstehenden EU-Wahlen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen beschränken sich jedoch nicht auf die Entnahme von problematischen Einzeltieren, sondern fördern die Bestandsregulation einer streng geschützten Tierart und sind damit nach Ansicht des NABU Sachsen nicht mit dem EU-Recht und dem Bundesnaturschutzgesetz vereinbar.
Der NABU Sachsen fordert
- transparente, schnelle und wirkungsvolle Maßnahmen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Monitoringergebnisse.
- den Ausbau der Unterstützung von Weidetierhaltern. Herdenschutzmaßnahmen und nicht-letale Maßnahmen wie Besendern und Vergrämen müssen in jedem Fall die erste Wahl bleiben, bevor ein Abschuss genehmigt werden darf.
- deutlich schnellere Rissbegutachtung, um zeitnah Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen einleiten zu können. Hierfür ist in erster Linie Geld und Personal notwendig.
Um eine derartige unspezifische Entnahme, wie sie jetzt im Wege der sogenannten Schnellabschüsse erfolgen dürfen soll, auf rechtssichere Füße zu stellen, müssten mehrere Gesetze geändert werden. Zum einen müsste man den Schutzstatus des Wolfes im Anhang der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie absenken, zum anderen müsste man die Rudelgebundenheit nach §45a Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes aufheben. Weder für das eine noch für das andere gibt es jedoch eine wissenschaftliche Basis.
Fakten in die Diskussion bringt unterdessen die Veröffentlichung des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) vom 12.10.23. Der Bestand des Wolfes in Sachsen wird ständig beobachtet. Die gestrige Veröffentlichung bestätigt 44 Wolfsterritorien, wobei der Schwerpunkt in Ostsachsen liegt.
Der Wolf ist ökologisch wichtig
Der Wolf genießt nicht ohne Grund den höchsten Schutzstatus, den das europäische Artenschutzrecht kennt. Denn große Beutegreifer übernehmen, genau wie große Huftiere, wichtige Funktionen im Ökosystem Wald. Jan Schöne, NABU-Fachreferent für Wölfe, erklärt: „Unsere ökologischen Prozesse sind an vielen Stellen durch menschliche Eingriffe gestört. Damit diese Prozesse wieder anlaufen können, braucht es auch große Raubtiere wie den Wolf. Dieser steht in komplexer Wechselwirkung mit seinen Beutetieren, den Schalenwildarten Rothirsch, Reh und Wildschwein, und beeinflusst beispielsweise deren Fraß- sowie deren Raum-Zeit-Verhalten, was sich wiederum auf den Wald und dessen Wachstum positiv auswirkt.“
Wölfe sind seit der letzten Eiszeit in Europa heimisch und waren nur vorübergehend durch Ausrottung in Mitteleuropa verschwunden. Gerade erleben wir einen natürlichen Ausbreitungsvorgang von Ost nach West. Das ist vor allem aus naturschutzfachlicher Sicht begrüßenswert, sorgt jedoch auch für Konflikte mit der Weidetierhaltung, die unbedingt ernstgenommen werden müssen.
Weidetierhalter als Naturschützer
Derzeit rücken Nutztierhalter nur in den Fokus, wenn es um den Wolf geht. Daneben wird oft vergessen, dass die grundlegenden Herausforderungen der Weidetierhaltung an ganz anderer Stelle liegen: Fehlende Nachfolge, steigende Produktionskosten und ein schwieriger Zugang zum Markt verschlechtern seit Jahren ihre sozioökonomischen Umstände. Dabei ist die Weidetierhaltung enorm wichtig – vor allem für den Naturschutz.
Jan Schöne erklärt: „Schafhalter verdienen ihr Geld nicht mit klassischen Schafprodukten wie Wolle und Milch, sondern mit der Landschaftspflege. Schafe halten durch ihr Fraßverhalten Flächen offen, auf denen sich sonst Busch- und Baumschösslinge zum Wald entwickeln würden. Diese offenen Flächen sind für viele Tiere, besonders für gefährdete Insekten- und Vogelarten, überlebensnotwendig. Handmahd wäre dagegen enorm teuer. Dazu gehört außerdem viel Fachwissen, das anständig vergütet werden muss. Schafprodukte verdienen einen höheren Stellenwert, damit die Schafhalter mehr Anerkennung, Respekt und Geld bekommen.“
Für den Naturschutz braucht es also beide: Wolf und Weidetierhalter. Wer letzteren wirklich helfen will, bemüht sich um eine sachliche Diskussion, wirbt für deren personelle und finanzielle Unterstützung und damit eine zukunftsfähige Nutztierhaltung und holt sie endlich raus aus dem Schatten des Wolfes.