Stieglitz - Foto: Bärbel Franzke
NABU und LBV: Stieglitz ist Vogel des Jahres 2016
Botschafter für mehr Artenvielfalt in Agrarräumen und Siedlungsbereichen
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und sein bayerischer Partner, der Landesbund für Vogelschutz (LBV), haben den Stieglitz (Carduelis carduelis) zum „Vogel des Jahres 2016“ gewählt. Auf den Habicht, Vogel des Jahres 2015, folgt damit ein Singvogel, der zu den farbenfrohesten Vögeln Deutschlands zählt. Der auch Distelfink genannte Stieglitz steht für vielfältige und farbenfrohe Landschaften, denn er ernährt sich vornehmlich von den Samen zahlreicher verschiedener Blütenpflanzen, Gräser und Bäume. Bunte Landschaften mit ausreichend Nahrung gibt es jedoch immer weniger, daher ist der Bestand des Stieglitzes in Deutschland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.
Auch in Sachsen nehmen die Bestandszahlen ab, was in dem Buch, „Brutvögel in Sachsen“, an dem über 500 ehrenamtliche Brutvogelkartierer mitgewirkt haben, dokumentiert ist. Während es Mitte der 1990er Jahre noch etwa 15.000 bis 30.000 Brutpaare waren, schrumpften die Bestände im Laufe weiterer 10 Jahre um 3.000 bis 6.000 Brutpaare.
Allein in der Agrarlandschaft sind seit 1994 fast 90 Prozent aller Brachflächen mit ihrer heimischen Artenvielfalt verloren gegangen. Saumstrukturen entlang von Waldrändern, Feldgehölzen, und Hecken wurden beseitigt. Randstreifen mit Blumen und Wildkräutern an Feldern und Wegen werden immer seltener und artenärmer. Im Siedlungsraum verschwinden wildblumenreiche Brachflächen, öffentliches und privates Grün wird zu intensiv gepflegt, Wildkrautvielfalt gar weggespritzt. „Für unseren Jahresvogel wird es in Sachsen inzwischen eng“, sagte NABU-Landesvorsitzender Bernd Heinitz. „Doch es gibt viele Möglichkeiten, den Lebensraum der farbenfrohen Finken zu erhalten. Schon kleine naturbelassene Ecken in Gärten – an Sport- und Spielplätzen, in Schulen, auf Ackerflächen oder an Straßenrändern – tragen dazu bei“, so Heinitz weiter.
Überregional kann nur eine Reform der bestehenden EU-Agrarverordnungen und -Förderinstrumente den Verlust landwirtschaftlicher Brachflächen stoppen. „Aber auch in Städten und Gemeinden werden Konzepte benötigt, damit es mehr Wildnis am Straßenrand und auf grünen Flächen gibt. Die im Frühjahr gestartete sächsische Mitmachaktion „Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge“ der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU), des Naturschutzbundes Sachsen e. V. (NABU), des Senckenberg Museums für Tierkunde und der Landschaftspflegeverbände Sachsens macht sich stark für Lebensräume mit hohem Gras und vielen Blumen statt zumeist kurzgeschorener Grünflächen im Siedlungsbereich und will damit für Schmetterlinge, Insekten und Vögel wichtige Lebensgrundlagen schaffen“, sagte Matthias Nuß, Vorsitzender des sächsischen NABU-Landesfachausschusses Entomologie. Auch private Gärtner können sich für den Erhalt von Lebensräumen einsetzen. Das Anlegen von Blühflächen mit heimischen Wildkräutern sowie Obstbäumen und der Verzicht auf Pestizide helfen dem zierlichen Finken und vielen anderen Tierarten.
Der Bestand des Stieglitzes hat in Deutschland laut den Daten des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten von 1990 bis 2013 um 48 Prozent abgenommen. Offizielle Schätzungen gehen derzeit von 305.000 bis 520.000 Brutpaaren in Deutschland aus. Stieglitze leben sowohl auf dem Land als auch in Siedlungen, solange es einen geeigneten Brutplatz und genug Nahrung gibt. Diese findet er an Acker- und Wegrainen, auf Brachen oder in Parks und Gärten. Knapp 60 Prozent des bundesweiten Bestandes leben im Siedlungsraum, die restlichen 40 Prozent in der Agrarlandschaft.
Wie alle Vertreter der Gattung Carduelis haben auch Stieglitze eine schlanke Gestalt mit einer Körperlänge von 12 bis 13 Zentimetern. Unverwechselbar leuchtet ihre rote Gesichtsmaske auf dem ansonsten weiß und schwarz gefärbten Kopf. Rücken und Brust sind hellbraun, Bauch und Bürzel weiß gefärbt. Markant ist auch die gelbe Flügelbinde an den ansonsten schwarzen Flügeln. Ihr typischer Ruf brachte ihnen auch ihren deutschen Namen ein. Am häufigsten ertönt ein helles, zwei- bis dreisilbiges „didelit“ oder „didlilit“ oder eben „stiglit“. Vor allem im Spätsommer und Herbst ist der Stieglitz oft auf Disteln, Kletten und Karden anzutreffen, aus denen er geschickt die Samen herauspickt. Dieser Vorliebe verdankt er auch den Zweitnamen Distelfink. Zudem sind Stieglitze überaus gesellig. Sie fliegen im Schwarm auf Nahrungssuche und leben selbst zur Brutzeit in lockeren „Wohngemeinschaften“ mit anderen Paaren.
Gleichzeitig mit der Verkündung des „Vogel des Jahres“ starten der NABU und der LBV die Aktion „Bunte Meter für Deutschland“. Ziel ist es, möglichst viele Meter wildkrautreicher Grünflächen als neue Lebensräume für den Stieglitz und andere Singvögel zu schaffen. Ob dabei Flächen mit Wildblumen neu eingesät werden, Brachflächen gerettet, Ackerrandstreifen angelegt werden oder ob Kommunen bei der Pflege von Straßenrändern auf Gift und ständiges Mähen verzichten – auf einer Deutschlandkarte sollen diese Entwicklungen und Projekte dokumentiert werden.
Weitere Infos
www.NABU.de, www.LBV.de, www.Vogel-des-Jahres.de, www.NABU.de/buntemeter
Pressefotos
Auf Anfrage landesverband@NABU-Sachsen.de oder unter www.NABU.de/presse/fotos/#vogeldesjahres.
Farbbroschüre
Die Farbbroschüre „Vogel des Jahres 2016 – Der Stieglitz“ (Art. Nr.: 1985), DIN A5, 32 Seiten gibt es im NABU-Natur-Shop, info@NABU-Natur-Shop.de, Tel. 0511-711 099 98, sowie im LBV-Natur-Shop unter www.lbv-shop.de
Für Rückfragen
Dr. Winfried Nachtigall, NABU-Vogelschutzexperte Sachsen, Telefon: 035933 179862
Dr. Rolf Steffens, NABU-Vogelschutzexperte Sachsen, Telefon: 0351 4726869
Der Stieglitz in Sachsen
In Sachsen ist der Stieglitz am häufigsten in reich strukturierten Landschaften und in Gegenden mit höherer Ortschaftsdichte anzutreffen. Deutlich seltener sind seine Vorkommen in den Waldlandschaften, insbesondere den Kiefernheiden der Lausitz und den Fichtenwäldern des Oberen Erzgebirges. Doch sogar in den höchsten Gipfellagen Sachsens, auf dem Fichtelberg in 1.214 Metern ü. NN, brütet er erfolgreich.
Stieglitz-Lebensräume Sachsen
In den meisten sächsischen Dörfern ist der Stieglitz noch anwesend. Auch an den Randbereichen der Städte, in Kleingartenanlagen, Parks sowie ähnlichem Gelände mit lockeren Baumbeständen und sogar an verkehrsreichen Straßen findet er sich ein. Er brütet unter anderen in Alleen, Obstgärten, Feld- und Auengehölzen mit Hochstaudenfluren und in Flussauen. Er meidet jedoch geschlossene Wälder und Koniferengehölze.
Bestandstrend zeigt auch in Sachsen abwärts
Der Bestand der Stieglitze in Sachsen wird auf 12.000 bis 24.000 Brutpaare BP geschätzt. Die höchsten Brutdichten werden in Chemnitz (2,2 BP), Kamenz (2,17 BP) und im Elbtal bei Torgau (2,01 BP) erreicht. In Fichtenwäldern und den Kammlagen des West-Erzgebirges liegt die Brutvogeldichte nur bei 0,1 bis 0,3 Brutpaaren. Auch in der Dübener Heide, im Dubringer Moor und in der Königsbrücker Heide mit ihren Heidestandorten ist die Siedlungsdichte sehr gering. (Die Informationen beziehen sich auf Angaben im Brutvogelatlas Sachsen, Autoren: Steffens, Rolf; Nachtigall, Winfried; Rau, Steffen; Trapp, Hendrik; Ulbricht, Joachim; Red.-Schluss: 30.10.2013.)
Nahrungsquellen versiegen
Seit Mitte der 1990er-Jahre zeigt der Trend für den Stieglitz in Sachsen abwärts. Die Ursachen liegen vor allem in der Agrarpolitik und im Schwund von Brachflächen. Die Beseitigung von Fehlstellen in Ackerkulturen und der immer wirksamere Einsatz von Herbiziden machen ihm das Überleben schwerer.
Seine Nahrungsquellen versiegen nicht nur mit der Beseitigung von Saumstrukturen entlang von Waldrändern, dem Schwund von Feldgehölzen und Hecken, den intensiven Pflegemaßnahmen an Straßenrändern und in Siedlungsbereichen sowie schnellem Stoppelumbruch. Auch die Vorliebe der Kleingärtner und Hausbesitzer für Koniferen im Garten, intensive Rasenpflege und den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln machen das Nahrungsangebot immer knapper. Stieglitze fressen mit Vorliebe halbreife oder reife Samen zahlreicher Stauden und Gräser und verschiedene Distelarten.
Wir sind was wir tun
Sächsische NABU-Gruppen beleben Feldraine, bewirtschaften Naturgärten und naturnahe Wiesen
Dank sächsischer NABU-Gruppen wurden und werden in der ausgeräumten Feldflur vielerorts neue Lebensräume und damit auch Nahrungsgrundlagen für zahlreiche Tierarten geschaffen. NABU-Gruppen, z. B. aus Leipzig und Taucha, pflanzen an Feldwegen seit einigen Jahren wieder Hecken und ortstypische Obstgehölze. In Naturgärten in Freiberg, Dresden und Leipzig werden beispielhaft ausschließlich heimische Pflanzen herangezogen und es wird torffrei gegärtnert. Nachahmenswert ist auch die Mitmachaktion „Puppenstuben gesucht - Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge. Schon mehr als 50 sächsische Wiesenbesitzer beteiligen sich daran und unterstützen mit verändertem Mahdregime, Verwendung von gebietsheimischem Saatgut sowie dem Einsatz geeigneter Mähtechnik die Initiative zur Erhöhung der Artenvielfalt im Siedlungsbereich. Das hilft nicht nur den Schmetterlingen, auch Insekten und Vögel und nicht zuletzt der Stieglitz profitieren davon.