Neue Studie zeigt: EU-Politik zu Landwirtschaft und Naturschutz im Konflikt
Feldvögel liefern erschreckendes Beispiel
Tschimpke: Richtungswechsel in der EU-Agrarpolitik dringend notwendig
Heinitz: Politik muss Anreize schaffen
Europas Feldvögeln geht es immer schlechter – und die EU kann mit ihrer Naturschutzpolitik diese Entwicklung derzeit nicht stoppen. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie, die acht Forschungseinrichtungen und Verbände vorgelegt haben. Die Wissenschaftler untersuchten den Zusammenhang zwischen dem seit Jahren anhaltenden Rückgang von Feldvögeln in Europa und der EU-Naturschutz- und Agrarpolitik. Sie fanden heraus, dass die EU mit ihrer Vogelschutzrichtlinie und ihren Agrarumweltprogrammen zwar einen wichtigen Beitrag zum Erhalt vieler Vogelarten auf Feldern und Wiesen leistet, den dramatischen Artenschwund aber nicht umkehren kann. Hauptursache dafür ist eine durch die EU-Agrarförderung immer intensiver werdende Landwirtschaft.
„Wieder einmal halten wir einen eindringlichen Beleg in Händen: Die EU setzt mit ihrer Agrarpolitik des ‚Immer mehr und immer größer‘ die falschen Signale. Europa braucht dringend einen Richtungswechsel, hin zu einer Agrarpolitik, die Naturschutzleistungen der Landwirte fördert und angemessen honoriert“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Er forderte die EU-Kommission abermals auf, die Gemeinsame EU-Agrarpolitik endlich auf den Prüfstand zu stellen. „Nicht die erfolgreichen Naturschutzrichtlinien brauchen einen grundlegenden Fitness-Check, sondern die EU-Agrarpolitik“, so Tschimpke.
Die Studie mit dem Titel „Tracking Progress Towards EU Biodiversity Strategy Targets: EU Policy Effects in Preserving its Common Farmland Birds“ erschien Ende vergangener Woche in der Fachzeitschrift „Conservation Letters“. Ziel der Wissenschaftler war es zu untersuchen, welche Auswirkungen die EU-Agrarumweltprogramme, die Ausweisung von EU-Vogelschutzgebieten (SPAs) oder die Zuweisung eines hohen Schutzstatus für einzelne Arten durch die EU-Vogelschutzrichtlinie bislang auf die Entwicklung der Feldvögel hatten. Dabei nahmen die Wissenschaftler die Entwicklung aller 39 EU-weit verbreiteten häufigen Feldvogelarten von 1981 bis 2012 unter die Lupe.
Das Ergebnis: Je mehr EU-Vogelschutzgebiete in der Agrarlandschaft ausgewiesen wurden und je größer der Anteil der durch Agrarumweltmaßnahmen geförderten Agrarfläche, desto geringer fielen die durch die Intensivierung der Landwirtschaft verursachten Bestandsrückgänge aus. Die Studie zeigte aber auch: Diese offensichtlich erfolgreichen Naturschutzinstrumente reichen nicht aus, um den Rückgang der Vögel der Agrarlandschaft zu stoppen. „Solange die EU ihre Agrarpolitik nicht ändert, werden ihre Anstrengungen zum Naturschutz mitunter verpuffen. Die EU muss dringend dafür sorgen, dass die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft nicht unter die Räder kommt“, so der NABU-Präsident.
Auch in Deutschland sind seit Jahren die negativen Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf den Feldern und Wiesen zu beobachten. „Fast alle Feldvogelarten sind hierzulande gravierend zurückgegangen. Im Vergleich zu 1990 haben wir etwa jede dritte Feldlerche, 75 Prozent unserer Kiebitze und sogar 94 Prozent unserer Rebhühner verloren“, so NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. „Für alle diese Arten gibt es in der Praxis erprobte Schutzmaßnahmen, die lokale Bestände sogar zunehmen lassen. Aber gegen die allgemeine Nutzungsintensivierung unter der aktuellen Agrarpolitik reicht das nicht aus.“
In Sachsen zählen viele Arten des Offenlandes ebenfalls zu den Sorgenkindern des Naturschutzes. Zu ihnen gehören Kiebitz, Rebhuhn, Feldlerche, Wiesenpieper, Bluthänfling und Stieglitz. So lagen beispielsweise die Brutbestände des Rebhuhns in den 1990er-Jahren noch bei 1.500 bis 3.000 Brutpaaren, zwischen 2004 und 2007 nur noch bei 200 bis 400 (seit 1980 ein Rückgang um 90 Prozent). Beim Wiesenpieper halbierten sich die Zahlen in vergleichbarer Zeit, die Feldlerchenbestände schwanden seit 1980 um 40 Prozent, beim Kiebitz um 80 Prozent. Den Trend vermochte auch das 6 Jahre währende Bodenbrüterprojekt in Sachsen, das im Juli 2015 endete, nicht zu stoppen. Mehrere Artenschutzmaßnahmen fanden aber Einzug in die neue sächsische Förderrichtlinie der Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen AUK/2015. Nun gilt es die aus dem Bodenbrüterprojekt gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen. Es ist eine große Chance, den anhaltenden Bestandsverlust der Bodenbrüterarten in der sächsischen Agrarlandschaft aufzuhalten und damit auch Synergien für andere Tier- und Pflanzenarten zu schaffen. Die feste Integration von Naturschutzmaßnahmen, beispielsweise die Neuanlage verlorengegangener Strukturen wie Raine, Hecken und Feldgehölze in der Agrarlandschaft, Staffelmahd und Ackerrandstreifen wären ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. „Dafür muss die Politik Anreize schaffen und für die notwendige finanzielle Untersetzung Sorge tragen. Zum Beispiel bei den aktuellen Verhandlungen für den neuen Doppelhaushalt des Freistaates“, so Bernd Heinitz, Landesvorsitzender des NABU Sachsen.